Sprache und Herrschaft: die Hauptmelodie

•) homepage: http://www.spracheundherrschaft.info/sprache-und-herrschaft/

Zum Thema und der Vorgeschichte:

In ihrer medialen Form als website versteht sie sich thematisch in Fortsetzung einer unterbrochenen politisch-kritischen Interventionsarbeit zur Sprachwissenschaft (s.dazu: Archiv d. Zeitschrift »Sprache und Herrschaft« (1978-1985) <Register>. Dass sich in den ca. drei Jahrzehnten seither viele der ‘Randbedingungen‘ massiv verändert haben (institutionell, politisch, technisch/technologisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich*) ist nicht nur evident – so meint inzwischen jede Mäkelei an Vorgefundenem ‘kritisch‘ zu sein – sondern verlangt für eine derartige wissenschaftlich-politische Haltung und entsprechende Absicht eine erweiterte wie differierendere Herangehensweise.

*) Als Hinweise dazu: Die zunehmend ökonomistischen wie bürokratisch-‘verwalteten‘ Sprachpraxen und Sprechweisen sind Indikatoren einer intensiveren politisch-ökonomischen Rationalität bzw. Ideologie, die sprachliche Ausdrücke einer (vorgeblich) ‘neuen‘ Liberalität. So fällt auf, dass scheinbar exakte Begriffe der ökonomischen Theorie(n) auch für nicht-wirtschaftliche ‘Sachverhalte‘ und ‘Maß’nahmen verwendet werden (und dabei auch falsch bzw. verwechselt, etwa „effizient“ [als quantitativer Differenz’operator‘ von Einsatz und Ergebnis] statt „effektiv“ [als qualitativ/ sachbezogene am Ziel orientierte Beurteilung]).
Auch, v. allem journalistisch, die ‘Merkantilisierung‘ als „Marketing“ bzw. sog. „Branding“ von Akronymen praktiziert wird, ist (An-) „Zeichen“ einer (nicht nur behaupteten) ‘Vernünftigkeit‘ der Funktionstrennung von Staat, dessen öffentlicher Verantwortlichkeit, und der ‘privatisierten‘ Zuständigkeit.

……
Grundsätzlich ist Sprache (wie auch andere Semiotiken) als kulturelles Phänomen ohne die verschiedenen Äußerungsformen als Sprechen – bzw. Schreiben und anderen medialen Realisierungen – nicht ‘denkbar‘ (eine quasi ‘logische Unmöglichkeit‘; denn „Die Sprache besteht nicht aus denen, die sie sprechen und kann ohne sie doch nicht existieren“ (G.-A. Goldschmidt: Freud wartet auf das Wort. Orig. 1996, dt. 2006/’08. FfM/ fibu; 12). ‘Sprechen‘ ist dabei in umfassender Weise gemeint: Als jeweils realisierte Äußerungen und den impliziten Sprachverständnissen mit der ‘Kenntnis‘ der ‘Lebendigkeit‘ von Sprache (umgangssprachliche Varianten und Veränderungen, differente Verwendung bzw. Be’herrschung‘ von Dia- und Soziolekten, dem Erkennen von Sprachfiguren wie Sprachvarietäten…, der „enormous variability“ (in: Bloomfield „Language“, 1935; 31) der sprachlichen Wirklichkeitserfahrung).

Als derartiges kulturelles (und eben nicht „natürlich“- mentales, gar irgendwie ‘göttlich‘-wunderliches) Ereignis ist Sprachlichkeit in ihren variantenreichen Vorkommen eingebunden in die gesellschaftlichen Konnexe, dem gesamten Spektrum abhängiger Beziehungen, Haltungen, Ideen/ Ideologien, ‘realen‘ Veränderungen in ihren diskursiven Bindungen und Abhängigkeiten gesellschaftlich-soziale Herrschaftsverhältnisse, globale Wirtschaftsbeziehungen, technische und mediale ‘Revolutionen‘ („Produktivkräfte“)… die insgesamt Denkweisen und Denkformen prägen (zusammen oft „Denkschemata“ genannt und diskursanalytisch „framing“ bezeichnet; sprachpolitisch als ‘Steuerung‘ einerseits und analytisches Verfahren zum anderen zu charakterisieren).

Sprache und somit sprachliches Handeln –als Sprechpraxen– wie (Sprach-) Bewusstsein* ist damit insgesamt als Dimension gesellschaftlicher wie politischer Praxis anzusehen

(„Die Menschen könnten natürlich aufhören miteinander zu reden, nur hätten sie dann nichts mehr zu sagen.“)**

*)Sprachbewusstheit ist dabei als die jeweils spezifiziert-reflektierte Realisierung zu verstehen.
**(W. Sellars 1980 <1953>. Zit. in: Rob.B. Brandom; in: Sprache u. Kritische Theorie (2016. Ff., Campus);259)

Allgemein, im Alltäglichen, wie speziell im wissenschaftlichen Denken, prä- formieren diese Interdependenzen damit ebenso Denkschemata: Terminologie (wie auch Metaphorik), Theoriekonzepte (wissenschaftliche ‘Vor‘-Stellungen), Methoden/ Methodologie und empirisches Verständnis. Historisch gesehen ist derart die Sprachwissenschaft als Realisierung und ‘Widerschein‘ der Nationenbildung, d.h. nationaler Identitätsstiftung zu sehen (vgl. Nationalökonomie; s.d. unten zu “Grammatik“) und zugleich ihre wissenschaftliche Etablierung.
Einen besonderen Stellenwert in dem ‘polyphonen‘ Konnex von Sprache und Politik („Politische Sprachwissenschaft“) hat Sprach(en)politik:
Zentral an sprach(en)politischem Denken steht die Einsicht, dass das Politische am Sprach(en)–Politischen in einer engen Beziehung mit den Entwicklungen von (bürgerlicher) Gesellschaft und Staat steht, also immer auf die Gemeinsamkeit der Menschen (wie Institutionen) der Sprach-„Gemeinschaft“ zielt. Indem die sprachlichen Verhältnisse entscheidend für das gesellschaftliche (Selbst-) Verständnis sind, ist der Anspruch sprach(en)politischer Forschung die Erkenntnis, Sprachwissenschaft als Moment von Gesellschaftswissenschaft zu verstehen. Konsequent re-flektiert, wird damit auch die sprachliche Dimension von Wissenschaft (Wissenschaftssprache, Sprachwissenschaft) selbst zum Gegenstand des Interesses.

Sprach(en)politisches Arbeiten

Methodisch umfasst Sprach(en)politik prinzipiell zwei unterschiedliche Analyse- und Handlungsbereiche, die praktisch und theoretisch mehrfach zusammentreffen – und daher auch oft nicht deutlich unterschieden werden.
• Interessensfokus von Sprachenpolitik (als Pluralterm erkennbar und so oft auch „Mehrsprachenpolitik“ bezeichnet) ist die politisch-gesellschaftliche –damit auch kulturell-symbolische– Praxis der Beziehungen von Ein- und Mehrsprachigkeit in staatlichem wie überstaatlichem Rahmen: Demnach Fragen der Sprachenverhältnisse von Vielsprachigkeit in der/n Sprachverwendung/en (‘klassisch‘ in der „Kolonialfrage“ als ‘befremdende‘ Herrschafts– und ‘untergeordnete‘/ ‘unterbewertete‘ alltägliche Sprachenvielfalt gesehen und verstanden). Auch sprachenpraktisch findet Sprachenpolitik als Übersetzungs‘problem‘ immer wieder ihren Ausdruck und so werden dementsprechende sprachkonzeptionelle Vor-Stellungen (!) als Übersetzungs’theorien‘ (d.h. als ästhetische, formale, „richtige“ Adäquatheit) entworfen; und sprachenpolitisch institutionell oft über eine “lingua franca“ entschieden. Aktuell relevant (und aufwendig ‘gelöst‘) in den Institutionen der EU wonach alle nationalen (Majoritäts-) Sprachen der Mitgliedsstaaten gleichwertig und so gleichberechtigte Kommunikationsmedien („Amtssprachen“) sind. Mit den auch dafür notwendigen (Hilfs-) Medien „Fachsprachen–Terminologien“ entsteht – neben der derart ‘produzierten‘ (Sprach-) Wissensordnung – derart auch eine Verbindung zur Sprachpolitik.
• Spezifisches Interesse von Sprach-Politik ist primär an jeweiligen Einzelsprachen orientiert, und selbst begrifflich wie sinngemäß zweifach zu charakterisieren:
Einerseits, akzentuiert auf das Sprachliche in politischen Kontexten – den Sprachverwendungen im öffentlichen (wie auch privaten) Sprachhandeln; d.h. Aspekte der Rhetorik (als Einsatz von “Sprachfiguren“, den “tropischen“ ‘Vergleichen‘), der Propaganda-Sprache (etwa „national[istisch]e“ ‘Vereinnahmungen‘ durch postulierte „wir–sie“–Kennzeichnungen), Gender-gemäße Sprachkritik und, nicht zuletzt, biologistisch-rassistisch- kulturelle Begriffs-‘Markierungen‘ (Vor–[ver]Urteil[ungen], ideologische Phrasen…); Forschungs-/Analysemomente der (Kritischen) “Diskursanalysen“.
Zum Anderen mit der Betonung auf (Sprach-)Politik: Den Steuerungen und Eingriffen in das Medium „Sprache“ als ‘korrekte‘ Nutzung (und der Geschichte) von „Sprachnormierung“ (Verschriftung, Rechtschreibung wie fachsprachliche „Terminologie“-Regelungen), „Amts–“, „Rechts–“ und „Unterrichtssprache(n)“, „Sprachenrecht“ und „Sprach(en)planung“ als Moment der Menschenrechte… und damit partiell auch nahe der Sprachenpolitik.

Über die jeweils aktuellen (ge‘ziel‘ten) Eingriffe –etwa im schulischen Sprachunterricht– ist Sprachpolitik speziell auch auf die (historische und) politische Semantik gerichtet: Auf die Veränderung der Vorstellungen und Kontexte von Begriffsbildung (‘hegemoniale‘ Sprachverwendungen). Aktuell das signifikante (!) ‘Feld‘ der „populistischen“ Umdeutungen.
Schließlich, gerade auch weil es in der Sprachwissenschaft bisweilen so (er–)scheint als wäre “Sprache“ ein ideelles (‘Natur‘-Gegebenes: „Natürliche Sprache“) Ideal, wird sie – nicht nur!– sprach(en)politisch erst unter der Perspektive des Sprechens/ Gesprochenen und anderen sprachlichen Äußerungen („Sprachverwendungen“, „Sprechakte“, eben den „Sprachpraxen“ als „Sprechtätigkeiten“) sinnvoll erklär– darstell– und verstehbar.

Derart insgesamt verstanden und mit den kritischen Energien intendiert, schafft sprach(en)politische Analyse damit die Möglichkeit des Perspektivwechsels der vor’herrschenden‘ Sprach–/ Sprechwissenschaft zu einer politisch-gesellschaftsorientierten Sprachwissenschaft. So sind sprachtheoretische Reflexion und die verschiedenen Sprach–/ Sprechhandlungen nicht nur aus wissenschaftlicher Erkenntnis ‘bedeutungs’voll, sondern vor allem in der Erfahrung und dem Wissen über das Sprachliche, dessen kontinuierliche Veränderungen als Medium des (Welt-) Verständnisses. Dass sprachliche und politisch-gesellschaftliche Verhältnisse zueinander gehören formt das zentrale Verständnis der »Politischen Sprachwissenschaft«. Epistemisch, methodisch und kritisch wird derart sprach(en)politisches Forschen zu einer sog. »Trans–« od. »Interdisziplinären« Wissenschaft für die „Kulturanalyse“ eine unter anderen Zugängen möglich ist.

In diesen vielfältigen wie interdependenten ‘Texturen‘ von „Herrschaft“ zu sprechen / schreiben meint damit sowohl in direkter Weise –wie „Macht“, „Kolonialisierung“, „Unterdrückung“, Tyrannei… – als auch indirekt, indem sprachliche Aktivitäten (als „Sprach-/Sprechhandlungen“) unter systematisch-‘strukturellen‘ Bedingungen der Ungleichheit eingeschränkt, verdrängt, sanktioniert werden und damit gesellschaftliche Teilhabe partiell zu verhindern: Rechtlich, herrschafts-sprachlich (‘Jargons‘), ‘ausschließungs‘-rhetorisch einerseits und ‘demgegenüber‘ der Ausdrucksmöglichkeiten – einer quasi ‘Einsprachigkeit‘, die situationsspezifisches Verstehen und ‘sprachspielerisches‘ Handeln teilweise verunmöglicht. Zugleich jedoch ist sprachliches Handeln ‘flexibel‘ genug um in der ‘Kollision‘ von Norm, Intervention und freier Gestaltung gelingendes Verstehen zu gestalten: „Jugend–“ und „Immigranten-“ Sprache, Lyrik wie „experimentelle Literatur“ sind mehr als nur Indizien der ‘Vor-‘Stellung eines Sprach’systems‘.

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